High End aus dem Sternensystem Jazz

Echo-Preisträger Heiko Fischer mit Band präsentierte neue CD in seiner alten Schule

Heiko Fischer
Faszinierend und wie vom anderen Stern: Heiko Fischer und Band gaben Einblicke in die Zukunft des Jazz.

Preetz (hh). Was hat Jazz mit Physik zu tun? – Jede Menge Antworten auf diese Frage lieferte am 30. November 2017 Heiko Fischer, Abijahrgang 2002, in der Aula des Friedrich-Schiller-Gymnasiums (FSG) zu Preetz. Den etwa 180 leeren Stühlen nach zu schließen, hatte eine temporäre Subraumspalte potentiell die Masse der Zuhörer verschluckt, doch die rund 20 Gäste, die den Kurs durch die kalte Dunkelheit gefunden und sich in dem riesigen Raum fein verteilt materialisiert hatten, sollten vom ersten bis zum letzten Takt mit einem faszinierenden Konzert belohnt werden. Angesichts der nahezu leeren Ränge und der ultraprofessionellen musikalischen Darbietung auf der Bühne bewies sich evident der Satz, dass Quantität nichts mit Qualität zu tun hat.

Einen YouTube-Kurs in allgemeiner Relativitätstheorie (ART) absolviert

Jede Jazzband ist anders, auch wenn dies im Zwielicht und zwischen Nebelschwaden zunächst nicht so aussah: Klassisch besetzt mit Lars Duppler am schwarzen Flügel, Giorgi Kiknadze am Kontrabass, Konrad Ullrich am Schlagzeug und Heiko Fischer an der Gitarre zauberte die Combo bei ersten Stücken wie Geometry und Consequence einen elektronisch angehauchten Klangteppich in die infinit leere Lokalität, der das Referenzsystem für die weitere Gestaltung des Geschehens lieferte.


„Ich freue mich, dass mein ehemaliger Physiklehrer Reinhard Kopiske dieses Konzert möglich gemacht hat", begrüßte der seinerzeit in der FSG-Bigband wirkende und heute in Hamburg lebenden Bandleader die illustre Gästeschar in seiner alten Schule. Heiko Fischer, selbst studierter Physiker, erklärte, dass er vor der Erstellung seines eben erschienenen Albums General Relativity einen YouTube-Kurs in allgemeiner Relativitätstheorie (ART) absolviert hatte. Ihn interessierte die Kombination der Zusammenhänge zwischen den eher statischen und technischen Elementen der Physik und der Freiheit des Jazz.

Heiko Fischer
Baute Zeitbrücken während des Konzerts: die Crew um Heiko Fischer.

Wie sich das anhört, spielte anschließend der unerhört agile Drummer Konrad Ullrich vor, der sich im Stück Deflection in einen intensiven Dialog seines Schlagwerks mit fein eingespielten Computersamples begab, bevor Heiko Fischer auf der beeindruckenden Batterie an Fußpedalen Gas und auf seiner türkisfarbenen E-Gitarre Energie gab. Eine Zeitbrücke baute die Crew mit ihrer innovativen Interpretation des alten Jazzstandards You Don't Know What Love is, in dem eine schnarrende, computeranimierte Stimme große Gefühle wie aus einer fernen Zukunft besang. Vollends auf Betriebstemperatur jazzte das Quartett vor der Pause zu spontanen Zwischenapplausen bei Equations über die Rolle der Mathematik als wichtiger Teil der Physik für die Musik, man denke beispielsweise an den Rhythmus und die Taktgebung.
 
Fulminanter Sound wechselte mit traumhaft filigranen Passagen bei History mit Prokofjew-Anleihen aus dem 2. Klavierkonzert die Ohren, eine witzige Kombination aus klassischen Elementen und moderner Elektronik. Über die Ereignishorizonte der ART sinnierten die gut geölten Akteure bei Horizons im Takt von Giorgi Kiknadze, der klingonisch auf die Saiten seines Kontrabasses einhämmerte und sich nach und nach im Nebel der von Schülern der Technik-AG des FSG bühnen- und soundtechnisch toll inszenierten Show verlor. Kurz bevor die außergewöhnlich frische Mannschaft um Captain Heiko Fischer bei Singularities und der jammigen Zugabe Alternatives in ihren schwarzen Löchern verschwand, beschleunigte das Raumschiff noch mal auf musikalische Lichtgeschwindigkeit. Den wenigen Erdlingen blieb der extraordinäre Eindruck eines hohen Besuchs von den Bewohnern des Planeten High End aus dem Sternensystem Jazz.

 

(Gedruckt in den Kieler Nachrichten/Ostholsteiner Zeitung, S. 26, am 2.12.2017)